Die sozialistische Schule der DDR
Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum

 vom 8. November 2009 - 25. Oktober 2010
Am Eröffnungstag der Sonderausstellung, am Sonntag, 8. November 2009, ist der Eintritt während
der regulären Öffnungszeit von 14.00 bis 16.00 Uhr frei.


Das Schulmuseum in Lohr a. Main Sendelbach
Das Schulmuseum in Lohr a. Main Stadtteil Sendelbach
„Eine Kanone der NVA wird von 5 Soldaten bedient. Bei einem Übungsschießen sind 6 Kanonen eingesetzt. Wieviel Soldaten nehmen an der Schießübung teil?“ - Aufgabe in einem 1989 herausgegebenen DDR-Rechenbuch für die 2. Klasse.
Eine derartige Aufgabenstellung ist in keinem vergleichbaren Grundschulbuch des damaligen „imperialistischen und aggressiven BRD-Klassenfeindes“ zu finden und auch nicht vorstellbar.
Rechenaufgabe im Rechenbuch „Mathematik 2“, Lehrbuch für Klasse 2, Volk und Wissen, Volkseigener Verlag Berlin, 1989. (Foto: Schulmuseum)
Rechenaufgabe im Rechenbuch „Mathematik 2“, Lehrbuch für Klasse 2, Volk und Wissen,
Volkseigener Verlag Berlin, 1989. (Foto: Schulmuseum)


Mit einer neuen Sonderausstellung ab dem 8. November 2009 bis zum 25. Oktober 2010 informiert das Lohrer Schulmuseum seine Besucher über das sozialistische DDR-Schulwesen, dessen oberstes Ziel „die Bildung und Erziehung allseitig und harmonisch entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten“ war.
Auf welche Weise die DDR-Ideologen dieses Ziel erreichen wollten, wird in der Ausstellung dargestellt, wobei vor allem in den Schulbüchern auch deutlich wird, dass in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, also der Zeit allgemeiner Entspannungsbemühungen, der ideologische Druck auf das Schulwesen verstärkt wurde. Bei einem Vergleich von DDR-Schulfibeln für das 1. Schuljahr aus Jahren 1970 und 1976 kann man nahezu eine Verdoppelung ideologischer Themen feststellen, wobei immer wieder der militärische Schutz des Vaterlandes als ein notwendiges Instrument der Friedenssicherung und des Schutzes gegen den kapitalistischen Klassenfeind betont wird.
Vorderer Einbanddeckel des Rechenbuchs „Mathematik 2“, Lehrbuch für Klasse 2, Volk und Wissen, Volkseigener Verlag Berlin, 1975. (Foto: Schulmuseum)
Vorderer Einbanddeckel des Rechenbuchs „Mathematik 2“,
Lehrbuch für Klasse 2, Volk und Wissen,
Volkseigener Verlag Berlin, 1975. (Foto: Schulmuseum)


So heißt es z. B. unter dem Titel „Gemeinsam stehen sie auf Friedenswacht“: Die Soldaten unserer NVA schützen gemeinsam mit den Soldaten der anderen sozialistischen Länder den Frieden. Sie üben mit den gleichen Waffen und lernen voneinander. Sie sind Waffenbrüder. Die besten Schützen werden ausgezeichnet: Karel, Igor, Klaus. Alle freuen sich darüber. Sie feiern gemeinsam, sie singen, tanzen und musizieren.“ (Aus „UNSERE FIBEL“, Volk und Wissen, Volkseigener Verlag Berlin, 1986)
In den Liederbüchern der Schulen wurde nun der DDR-Staat als ein zu beschützendes Vaterland besungen („Ich weiß ein schönes Land“). Andere Lieder betonten den Friedensgedanken und warben unter dem Stichwort „Friedenssicherung“ („Den Krieg zu verhindern sei unser Sieg“) um Sympathie für die NVA-Soldaten, z. T. allerdings mit Texten, die an andere Zeiten erinnern: „Wer unsern Frieden stört, der wird die Waffen spüren, die uns zum Siege führen.“
Kleine hölzerne Truhe; Beschriftungen: „Grüße ins neue Jahrtausend, 1. 9. 1989“.
Kleine hölzerne Truhe; Beschriftungen: „Grüße ins neue Jahrtausend, 1. 9. 1989“.
In die Truhe wurden 1989 Schriftstücke von besonderen Ereignissen an der
allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule (POS) in Bibra/Meiningen gelegt
(z. B. „Ergebnisse bei der Altstoffsammlung im Schuljahr 1988/89“, „
Unser Solibeitrag 155,-Mark – Alle Kinder sollen glücklich sein!“,
 „Wir pflanzen einen Baum“ usw.).Die Truhe sollte verschlossen und erst wieder im
Jahr 2000 geöffnet werden und dann einen  (möglichst positiven)
Vergleich mit dem Schuljahr 1988/1989 ermöglichen.


Besonders bemerkenswert ist die Begründung des Mauerbaus 1961 in verschiedenen Schulbüchern, z. B. im Lehrbuch Heimatkunde für die 4. Klasse 1987: „(...) Den Feinden unserer Republik war jedes Mittel recht, um den Aufbau eines neuen Lebens in unserem Lande zu verhindern: Bauernhöfe wurden in Brand gesteckt, um wertvolles Erntegut zu vernichten und die Ernährung der Bevölkerung zu gefährden. Im Jahre 1955 erkrankten in unserer Republik etwa 5000 Rinder; eine BRD-Firma hatte vergiftete Erntebindfäden geliefert. Im Februar des gleichen Jahres gingen die neuerbauten Sendesäle des Rundfunks in Flammen auf; der Täter war ein Student aus Westberlin, der sich als Agent gegen die DDR hatte anwerben lassen. (...) Die Imperialisten und von ihnen gekaufte Verbrecher haben unserer Republik großen Schaden zugefügt. Ihr Ziel, unseren sozialistischen Aufbau zu verhindern, haben sie aber nie erreicht. Zu den gemeinsten Verbrechen, die von westdeutschen Regierungen geduldet werden, gehört der Mord an Volkspolizisten und Soldaten, Unteroffizieren und Offizieren unserer Grenztruppen. (...) 1961 wollten die Imperialisten der BRD ihr Ziel mit Gewalt erreichen. Das friedliche Aufbauwerk unserer Bürger wurde immer mehr bedroht.
Begegnung mit der Vergangenheit im Lohrer Schulmuseum 1996: Ein Museumsbesucher erinnert sich an seine Schulzeit in der ehemaligen DDR (um 1996).  Sein Trabi ist auf dem Außenfoto des Schulmuseums zu sehen.  
Begegnung mit der Vergangenheit im Lohrer Schulmuseum 1996:
Ein Museumsbesucher erinnert sich an seine Schulzeit
 in der ehemaligen DDR (um 1996).Sein Trabi ist auf dem
obersten Foto des Schulmuseums zu sehen.


Westberlin wurde zu einem gefährlichen Herd der Unruhe. Die unverbesserlichen Feinde der DDR träumten von einem Marsch durch das Brandenburger Tor in die Hauptstadt der DDR. Damit sollte unsere Regierung gestürzt werden. Imperialisten und Großgrundbesitzer wollten wieder an die Macht. Die Verwirklichung dieser Pläne wurde verhindert. Am 12. August 1961, um 16 Uhr, unterzeichnete Walter Ulbricht die Befehle für die Sicherung der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik nach Westberlin. (...) In der Nacht vom 12. zum 13. August 1961 wurde die bis dahin offene Grenze nach Westberlin geschlossen. (...) Alles Geschrei nutzte den Feinden unseres Vaterlandes nichts. Sie hatten eine Schlacht verloren. Ihr Marsch in die DDR fand nicht statt.“
Eine Ergänzung der Indoktrination durch die Schulfächer bildete der „Symbolikplatz der Pionierfreundschaft“ in der Aula der Schule, mit Gruppenwimpel, Fanfare, Trommel, Ehrenbuch der Pionierfreundschaft, einer Büste oder einem Bild Ernst Thälmanns usw., fast wie ein Altar aufgebaut und ein Beispiel für die Allgegenwart der SED in den Schulen.
Eine Ergänzung der Indoktrination durch die Schulfächer bildete der „Symbolikplatz der
Pionierfreundschaft“ in der Aula der Schule, mit Gruppenwimpel, Fanfare, Trommel,
Ehrenbuch der Pionierfreundschaft, einer Büste oder einem Bild Ernst Thälmanns usw.,
 fast wie ein Altar aufgebaut und ein Beispiel für die Allgegenwart der SED in den Schulen.

Die DDR-Schule und die sozialistischen Kinder- und Jugendorganisationen „Pioniere“ und „Freie Deutsche Jugend“ bildeten eine untrennbare Einheit. Zum Aufgabenbereich der Lehrer gehörte daher auch die Betreuung dieser Organisationen mit den verschiedensten Aktionen über das gesamte Schuljahr. Nach einer Broschüre, herausgegeben vom Zentralrat der FDJ/Abteilung Schuljugend, waren das im Schuljahr 1978/79 rund 90 Veranstaltungen, von der Eröffnung des Schuljahres mit einem FDJ- und Pionierappell am 1. Sept. 1978 bis hin zum Jahrestag der Ermordung Ernst Thälmanns am 18. August 1979.
Für die Lehrerschaft bedeutete die sozialistische Kinder- und Jugendarbeit eine erhebliche zusätzliche Belastung, der sie zu entsprechen hatte. Das Lehrplanwerk 1972 der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR definierte den ideologischen Aufgabenbereich mit zwei grundlegenden Sätzen: „Der Lehrer erzieht die Schüler zu Verhaltensweisen, wie sie der Moral der Arbeiterklasse entsprechen. Er hält sie dazu an, klare Standpunkte zu beziehen, sich mit feindlichen und fehlerhaften Argumenten auseinanderzusetzen und im Unterricht, in der Pionier- und FDJ-Organisation, in Situationen des täglichen Lebens diesem Standpunkt entsprechend parteilich zu handeln.“
Fanfare der „Pioniergemeinschaft“.
Fanfare der „Pioniergemeinschaft“.
 In dieser DDR-Kinderorganisation waren Kinder der
Schuljahrgänge 1 bis 3 „Jungpioniere“ und Kinder der
Schuljahrgänge 4 bis 7 „Thälmannpioniere“.


Ein 300-stündiges „Studium der revolutionären Theorie“ bereitete die Lehramtsstudenten auf diese Aufgaben vor. Darüber hinaus war es auch „für die männlichen Lehramtsstudenten Ehrensache, als Soldat, bzw. Uffz auf Zeit zu dienen, über die gesetzliche Wehrpflicht hinaus zum militärischen Schutz unserer Heimat beizutragen“. (Aus: 40 Jahre sozialistische Lehrerbildung in Meiningen, 1946-1986)
Spielzeug-Panzer aus einem DDR-Kindergarten
Spielzeug-Panzer aus einem DDR-Kindergarten Dazu ein Blick in das „Programm für die Bildungs-
 und Er­ziehungsarbeit im Kin­dergar­ten“ (Aus­züge), Volk und Wissen, Volksei­gener Verlag Ber
­lin, 1985:„Vom Schutz des Friedens und des so­zialistischen Vaterlan­des“:- „Den Kindern sin
d Vorstellun­gen über die Tätigkeiten der An­gehörigen der be­waffneten Orga­ne zu vermit­teln.
Sie sol­len er­fahren, daß diese das Le­ben der Men­schen und die DDR schüt­zen, weil es
noch im­mer Feinde gibt, die alles zer­stören wol­len.“- „Die Kinder sollen wissen,  daßdie Grenzsoldaten
die Gren­ze unser­es Lan­des bei Tag und Nacht be­wachen und jeder­zeit ein­satzbereit sind,
da­mit Fein­de, die uns Scha­den zufügen wol­len, nicht in un­ser Land eindrin­gen kön­nen.“
Medaille für den Sieger beim vormilitärischen „Hans-Beimler-Wettkampf“ der FDJ, an dem sich die Klassen 8 bis 10 beteiligten.
Medaille für den Sieger beim vormilitärischen
„Hans-Beimler-Wettkampf“ der FDJ, an
dem sich die Klassen 8 bis 10 beteiligten.


Mit Wandbildern, Schulbüchern und Gegenständen aus dem DDR-Schulleben ermöglicht die Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum interessante Einblicke in ein sozialistisches Bildungssystem und zeigt die vielfältigen Möglichkeiten politischer Indoktrinationen auf, die heute, hoffentlich und endgültig, der Vergangenheit angehören - denn der gewünschte „mündige Bürger“ setzt eine andere Erziehung voraus, in der kein Platz für linke und rechte Ideologen ist.
Originalgetreue Nachbildung einer Eierhandgranate und einer Wurfkeule (Nachbildung der Stielhandgranate aus dem 2. Weltkrieg) für den Sportunterricht.
Originalgetreue Nachbildung einer Eierhandgranate und einer Wurfkeule
(Nachbildung der Stielhandgranate aus dem 2. Weltkrieg) für den Sportunterricht.


Im Übrigen passt die Ausstellung gut in das Gesamtkonzept des Museums, das, auch wegen seiner gesellschaftlich-politischen Ausrichtung auf die Zeit von 1789 bis 1989, heute national wie international zu den attraktivsten Schulmuseen zählt.

(Text: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main, Tel. 09359/317, e-Mail: eduard.stenger@gmx.net)

Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist von Mittwoch bis Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger Absprache außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen. (Kontakt: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main; Tel. 09352/4960 oder 09359/317,
e-Mail: eduard.stenger@gmx.net)

Allgemeiner Hinweis:
Das politisch-geschichtliche Konzept des Lohrer Schulmuseums ist auf die Zeit von 1789 (Französische Revolution) bis 1989 (Zusammenbruch der DDR) ausgerichtet und akzentuiert dabei den Einfluss der totalitären Strömungen dieser Epoche auf die Schule und das außerschulische Erziehungswesen.
Strittig ist, inwieweit die Französische Revolution als politische Konsequenz der Aufklärung (17./18. Jahrh.) auch als Ursache für die Entstehung des Totalitarismus des 20. Jahrhunderts gelten kann.
Den totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts gemein aber ist die Sakralisierung der Politik, deren revolutionäre, demokratische und nationalistische Wurzeln in der Natur der Aufklärung gründen.
(Aushang im Treppenhaus des Schulmuseums)

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