Die neue Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum

vom 17. Feb. 2008 bis 9. Nov. 2008

"Wie eine Stadt gleichgeschaltet wurde - Lohr a.Main im Jahr 1933"

Wichtiger Hinweis...
Diese Fotos sind aus der Zeit von 1933 bis 1945.
Einige Fotos tragen nationalsozialistische Symbole. Alle Fotos dienen ausschliesslich
der staatsbürgerlichen Aufklärung und nicht einem propagandistischem Zweck
 im Sinne des § 86 und 86a StGB.


„Deutschlands Schicksal besiegelt“, titelte das „Tageblatt für Spessart und Frankenland“ am 6. März 1933 nach der Wahl des achten deutschen Reichstags. Der Redakteur wusste sicher nicht, wie zutreffend er die Schlagzeile formuliert hatte, auch im Hinblick auf die eigene Zeitung

Neue Sonderausstellung
Zeitgenössische Fotomontage: Lohr unterm Hakenkreuz, 1933.
Unter der Überschrift „Die Hitlerfahne über Lohr“ schrieb ein Tageblatt-Redakteur am 11. März 1933 u.a. voller Ironie: „Vom Fenster des Rathauses versuchte ein nationalsozialistischer Redner mit großem Pathos die Zuhörer zu überzeugen, daß das rosige Morgenlicht des dritten Reiches alles verklären wird.“ Wenige Tage später war der Mann seinen Job los, und ein paar Monate später kam auch das Aus für das gleichgeschaltete „Tageblatt für Spessart und Frankenland“. Das ab dem 12. Dezember 1932 in Lohr herausgegebene christkatholische Tageblatt wurde nach der Machtergreifung der Nazis zeitweise verboten und musste am 1. August 1933 sein Erscheinen einstellen.


Mit der Sonderausstellung
„Wie eine Stadt gleichgeschaltet wurde - Lohr a.Main im Jahr 1933“
zeigt das Lohrer Schulmuseum, wie aus einer „schwarzen Stadt“ eine „braune Stadt“ wurde.
Lohr a. Main
Die am 1. Mai 1933 in „Adolf-Hitler-Straße“ umbenannte
 Lohrer Hauptstraße (unterer Teil).


Die Ausstellung hat eine außerordentliche exemplarische Aussagekraft. Ähnlich wie Lohr wurden damals die deutschen Städte und Dörfer der braunen Ideologie angepasst. Die Masse der Deutschen, noch erzogen im mit rassistisch-antisemitischen Vorurteilen angereicherten Untertanengeist der Kaiserzeit (1871-1918), war den professionellen NS-Propagandisten und deren skrupellosen Methoden in keiner Weise gewachsen und übernahm oft kritik- und gedankenlos deren Wertmaßstäbe und Vorgaben.
Obere Hauptstrasse in Lohr
Die am 1. Mai 1933 in „Adolf-Hitler-Straße“ umbenannte Lohrer Hauptstraße
(oberer Teil). Werbepostkarte: „Lohr das Spessarttor, die ideale Sommerfrische“.


Am 9. Februar 1933 stimmte ein Zeitungsinserat in der Lohrer Zeitung die Lohrer und die Bevölkerung in den umgebenden Dörfern auf die neue Zeit mit dem „Deutschen Tag“ am 12. Februar 1933 ein: „Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, Kreisleitung und Ortsgruppe Lohr, veranstalten am kommenden Sonntag in Lohr einen großen Deutschen Tag. Zum ersten Mal werden in unserer Stadt die braunen Kolonnen Adolf Hitlers (seit 30. Januar 1933 deutscher Reichskanzler) marschieren. Grüßen auch Sie das junge Deutschland, die gewaltigste Freiheitsbewegung, die je die deutsche Geschichte kannte. Wir bitten Sie schon heute für den Sonntag um recht zahlreichen Flaggenschmuck.“ Und den Menschen wurde ein perfekt inszeniertes Polit-Spektakel geboten. Neben den obligatorischen Aufmärschen der NS-Parteigruppen erfolgte auch eine Heldenehrung am Kriegerdenkmal, „während welcher ein Hitlerflugzeug in engen Spiralen um die Stätte kreiste und seinen Gruß entbot“, auf dem Oberen Marktplatz sprachen regionale Parteigrößen usw.
Kundgebung in Lohr a. Main
SA-Kundgebung auf dem Oberen Marktplatz, 1933; in SA-Uniformen die "Stadtkapelle,
bei der jetzt Hochsaison ist, da sie Tag und Nacht für die Umzüge des braunen Heeres
bereitzustehen hat." (Tageblatt, 11. März 1933)


Allerdings kam es auch zu „kleinen Reibereien mit politischen Gegnern“ während der Kundgebung auf dem Marktplatz. Die Lohrer Zeitung fügte in ihrem Bericht am 13. Feb. 1933 noch hinzu: „Aus dem ganzen Reich treffen Meldungen von politischen Zusammenstößen ein, bei denen es zahlreiche Tote und Verwundete gab.“
Die Eröffnung des neuen Reichstags nach der Wahl vom 5. März, bei der die Nazis rund 44% der Stimmen erhalten hatten, wurde von der Lohrer Ortsgruppe der NSDAP wieder zu entsprechenden Feiern und Umzügen genutzt. Dazu gehörte auch ein nächtlicher „Fackelzug mit anschließender Kundgebung über die Bedeutung dieser großen Stunde deutscher Geschichte“, wie die Lohrer Zeitung schrieb.
Mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 erhielt Hitler die absolute Macht. Von nun an bestimmten auch in Lohr die NS-Parteigenossen, was zu geschehen hatte und was zu unterlassen war.
Fackelzug
Fackelzug durch die Lohrer Hauptstraße anlässlich der Eröffnung
des Reichstages am 21. März 1933.


Schon bald zeigten sich die Auswirkungen des hitlerschen Antisemitismus, und ein Lohrer Arzt erklärte per Inserat am 2. April 1933: „Die am Samstag gegen meine Praxis erfolgten Boykottmaßnahmen wurden zu Unrecht getroffen, da ich Protestant und sowohl meine Eltern wie Großeltern weder Juden noch getaufte Christen waren. Die erforderlichen Gegenschritte habe ich veranlaßt.“
Als am jüdischen Kaufhaus Hirsch ein Schaufenster eingeschlagen wurde, sprach der NS-Sonderkommissar beim Bezirksamt Lohr, Herold, von einem verbrecherischen Treiben, mit dem die NSDAP nichts zu tun habe, und er setzte ein Belohnung von 50 Reichsmark für die Ergreifung des Täters aus. Wahrscheinlich aber hatte ein Parteigenosse im „vorauseilenden Eifer“ die Scheibe zertrümmert, und die Reaktion des Sonderkommissars sollte eventuellen Aufregungen in der Bevölkerung entgegenwirken – ein reines Täuschungsmanöver.
Kaufhaus Hirsch in Lohr a. Main
Rechts: Das Textilwarengeschäft F. Hirsch am Eingang zur Kleinen
Kirchgasse, um 1935.Lohrer Zeitung, 11.November 1938: "Eine Welle
der Empörung hat die Nachricht vom Tode des durch jüdische Mörderhand
 gefallenen Gesandschaftsrats vom Rath ausgelöst, die auch in unserer
 Stadt Lohr ihren Niederschlag fand. Schon gestern morgen fanden
antijüdische Demonstrationen statt, die in Beschädigungen der Lohrer
und Wiesenfelder Synagoge ihren Ausdruck fanden. In gleicher Weise
wurde auch gegen jüdische Geschäfte vorgegangen."Im Zuge dieser
Aktionen wurde auch das Geschäftshaus Hirsch verwüstet.Die beteiligten
 SA-Leute hatten es zudem hier vor allem auf die "Cartothek mit den
Außenständen", die "Herr Hirsch vor allem SA-Leuten zu gutmütig gewährte",
abgesehen. Es sollen vor allem Lohrer SA-Leute gewesen sein, die bei
dem Kaufmann "in der Kreide standen", bzw. sich dort ihre SA-Unformen
 beschafft und noch nicht bezahlt hatten und nun die Gelegenheit nutzten ,
 um alle Unterlagen zu vernichten.


Sehr intensiv suchten die Nazis die Nähe der Kirchen, und zu den „vertrauensbildenden Maßnahmen“ gehörte auch die demonstrative Einbindung christlicher Lebenswerte und Symbole in den jungen NS-Staat.
Ein propagandistisch besonders wirkungsvoller Schachzug der Nazis war 1933 sicherlich die Betonung des Religionsunterrichts und des Schulgebetes als eine wichtige Komponente des gesamten Unterrichts. Am 21. April 1933 veröffentlichte der Schulanzeiger für Unterfranken und Aschaffenburg eine Bekanntmachung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 28. März 1933 über die religiöse und nationale Haltung der Lehrkräfte an den bayerischen Schulen mit dem Motto: „Unsere Religion heißt Christus – Unsere Politik heißt Deutschland.“ Der Verordnung nach hatte der Unterricht an allen bayerischen Schulen u.a. „mit Gebet zu beginnen und zu schließen“.
Gymnasium in Lohr a. Main
Die am 1. Mai 1933 in „Horst-Wessel-Straße“ umbenannte Gärtnerstraße mit
Frontansicht des Gymnasiums. Wie schnell und umfassend das ganze Schulleben
auf die braune Ideologie ausgerichtet wurde, zeigt exemplarisch ein Blick in den
Jahresbericht des Gymnasiums: Gedenkstunden mit nationalsozialistischem
Hintergrund am humanistischen Gymnasium Lohr a.M. 1933
 (Auszug aus dem Jahresbericht):
„Gedenkstunden mit Ansprachen der Klaßleiter wurden abgehalten:
am 26. Mai, dem Gedenktage des Heldentodes von Albert Leo Schlageter;
am 28. Juni, dem Jahrestag des Versailler Diktats;
am 30. September anläßlich des Tages des deutschen Bauern;
am 16. Oktober, dem 65. Geburtstag des Herrn Reichsstatthalters von Epp;
am 13. November anläßlich des machtvollen Bekenntnisses des Volkes zu seinem Führer.“


Eine weitere Verordnung vom 2. Aug. 1933 bestimmte: „Die Lehrer und Erzieher an den bayerischen Schulen sollen ihren Schülern nicht nur durch ihre nationale, sondern auch durch ihre christliche Haltung ein Vorbild sein. Ich erwarte daher, daß sie an den Gottesdiensten, die aus Anlaß der Eröffnung und der Beendigung des Schuljahres stattfinden, zusammen mit den Schülern teilnehmen. Schemm.“ (Kultusminister)
Über die Lohrer Tageszeitungen wurde die Bevölkerung jeweils ausführlich informiert, und man darf wohl davon ausgehen, dass die Hervorhebung der christlichen Ausrichtung manches Vorurteil gegen die Nazis beseitigte.
Die Betonung christlicher Werte durch die Nazis schien offensichtlich manchem Lohrer Bürger doch nicht so ganz glaubwürdig. Als ein entsprechender Hinweis lässt sich jedenfalls ein Zeitungsinserat vom 15. Juni 1933 im Tageblatt für Spessart und Frankenland ausdeuten, in dem der NS-Sonderkommissar beim Bezirksamt Lohr, Herold, mitteilte: „Solange im Bezirk Lohr der braune Soldat als Christ 2. Klasse behandelt wird, haben wir keine Veranlassung, uns an einer nach außen in Erscheinung tretenden kirchlichen Feier (es ging um die Teilnahme der SA an der Fronleichnam-Prozession) zu beteiligen.
Neue Sonderausstellung in Lohr a. Main
Ein Klassenzimmer im Dritten Reich um 1935.Ein propagandistisch besonders wirkungsvoller
Schachzug der Nazis war 1933 die Betonung des Religionsunterrichts und des Schulgebetes als
eine wichtige Komponente des gesamten Unterrichts.Zum Vergleich: Rundschreiben des
Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, vom 23. April 1941 an die Direktorate
der höheren Lehranstalten. Betreff: Umrahmung des täglichen Unterrichts an den Schulen.
Auszug: „Um eine einheitliche Handhabung an allen Schulen herbeizuführen, (...) hebe ich daher
die Ministerialbekanntmachung vom 28. 3. 1933 Nr. II 12429 auf und ordne an, daß der Unterricht
an Stelle eines Gebetes mit einem geeigneten Tages- oder Wochenspruch aus dem
nationalsozialistischen Gedankengut oder einem Lied der Hitlerjugend begonnen und beendet wird.
Gleichzeitig weise ich darauf hin, daß kirchlicher Bilderschmuck, auch wenn er künstlerischen Wert
besitzen sollte, sowie Kruzifixe in der Schule am falschen Platze sind; ich ersuche Sorge dafür zu
tragen, daß solcher Wandschmuck allmählich entfernt oder durch zeitgemäße Bilder ersetzt wird.
gez. Adolf Wagner
In Abdruck an die Leiter der Volksschulen durch das Lohrer Bezirksschulamt am 20. Mai 1941
zur Kenntnis und zum gelegentlichen Vollzug.“


Wir haben für Staat und Kirche gekämpft und so beide vor dem Kommunismus bewahrt und werden uns auch weiterhin für Gott und Vaterland einsetzen. Heil Hitler!“
Übrigens: Acht Jahre später waren Kreuze und Gebete in den Schulen nicht mehr erwünscht und durch nationalsozialistisches Gedankengut und NS-Symbole zu ersetzen. In Anbetracht des bis dahin sehr erfolgreichen Kriegsverlaufes im 2. Weltkrieg glaubten die Nazis nun auf religiöse Rücksichtnahmen verzichten zu können. Die anderen Bereiche des gesamte Schul- und Erziehungswesens hatten die Nationalsozialisten ohnehin gleich nach der Machtergreifung der braunen Ideologie angepasst.
Bemerkenswert ist auch der Versuch der Nationalsozialisten, die Unterstützung der deutschen Monarchisten zu gewinnen. In einer Zeitungsnotiz erfuhren die Lohrer am 21. Juli 1933 unter der Überschrift „Kaiser-Bilder dürfen wieder angebracht werden.“, dass Kaiserbilder und monarchische Hoheitsabzeichen, Büsten oder Statuen von Mitgliedern des königlichen Hauses usw. wieder in den Amtsräumen der Landesbehörden aufgestellt werden dürften. Es sollten dadurch aber keine Kosten entstehen.
Einen hohen Sympathiewert brachte den Nationalsozialisten aber vor allem das Winterhilfswerk (WHW) ein, mit dem arme Gegenden wie Rhön und Spessart gefördert wurden. Ermöglicht wurde eine Vielzahl von Projekten durch Spenden, die von nun an auch in Lohr, oft unter NS-Druck, durchgeführt wurden. Wer nicht in Verdacht geraten wollte, ein unwürdiges Mitglied der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft zu sein, hatte regelmäßig und großzügig zu spenden.
Bezirksführerschule Lohr a. Main
Das am 10. September 1933 in der Nähe von Lohr a.Main eröffnete Arbeitsdienst-Musterlager (Frontseite).
Heute erinnert dieser Baustil vor allem an die Konzentrationslager der Nationalsozialisten.
In der ständigen Ausstellung des Lohrer Schulmuseums ist ein restauriertes Originalmodell des 1933 eröffneten Lohrer
Arbeitsdienstlagers zu besichtigen. Man darf davon ausgehen, dass es das einzige noch vorhandene Originalmodell dieser
 Art ist, das zudem auch sehr gut erhalten geblieben ist. Das Arbeitsdienstlager "Lohrerstraße" hatte Modellcharakter
für alle weiteren geplanten Arbeitsdienstlager. Im Stil eines römischen Kastells gebaut, belegt es den frühen
Einfluss Mussolinis auf Hitler


Beispielhaft war die am 10. September 1933 in der Nähe von Lohr eröffnete Bezirksführerschule des Reichsarbeitsdienstes bzw. das Arbeitsdienstlager, eine Musteranlage für spätere Lager dieser Art.
Anlässlich der Eröffnungsfeierlichkeiten der Anlage schrieb ein bekannter Heimatdichter in der Lohrer Zeitung u.a.: „Ueber der Weihefeier der Spessartführerschule wird ein Rauschen hinauswehen über alles deutsche Land. Und hundertmal eindringlicher wird das Rauschen werden, germanischer Spessart, als je. Und einen Namen wird es tragen, jubelnd und stolz, den Namen des Erlösers und Befreiers, der die deutsche Seele wieder heimführte in das Land der Ahnen, in die Feierlichkeit des Erlebens aus Blutgemeinschaft, Würde und Größe, den Namen Hitlers.
Heil deiner Sendung, Volkserlöser!“
Das war nicht das opportunistische Geschreibsel eines darbenden Poeten, sondern Ausdruck einer tiefen emotionalen, fast religiösen Begeisterung, wie sie wohl auch in ähnlicher Weise bei der Masse des deutschen Volkes vorhanden war.
Dass mit der Machtergreifung Hitlers das schlimmste und unheilvollste Kapitel der deutschen Geschichte begonnen hatte, konnten sich die meisten Deutschen 1933 nicht vorstellen.
(Text: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main; Tel. 09352/4960 oder 09359/317,
 E-Mail: eduard.stenger@gmx.net)


Wahlplakate, großformatige Fotos, Dokumente, Zeitungsinserate und zeittypische Gegenstände ermöglichen dem Besucher ein objektiv-anschauliches Bild von den politischen Vorgängen in einer typischen Kleinstadt vor 75 Jahren.
Eine ideale Ergänzung findet der Museumsbesucher in der ständigen Ausstellung mit dem Zeitrahmen von 1789 bis 1989 und den Schwerpunkten Kaiserreich (1871-1918) und Drittes Reich (1933-1945).

Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist Mittwoch bis Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger Absprache außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen.

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