Sonderausstellung im Schulmuseum
 22. Januar 2012 bis zum 20. Januar 2013

„Ein überragender nordischer Führer“?
Friedrich der Große und das Dritte Reich


Im "Cigaretten-Bilderdienst, Bilder Deutscher Geschichte 1936" schließt der Text zu „Das Zeitalter Friedrichs des Großen“ mit dem Satz: „Das Erwachen Deutschlands hat er im Geiste kommen sehen: 'Ich bin wie Moses; ich schaue von ferne das Gelobte Land, aber ich werde es nicht betreten'." Dem Leser sollte damit suggeriert werden, dass bereits Friedrich der Große eine Vision von dem Dritten Reich als dem idealen Deutschland gehabt hätte.
Einklebebild mit Bildtext aus dem Zigaretten-Bilderalbum „Gestalten der Weltgeschichte, herausgegeben vom “Cigaretten-Bilderdienst Hamburg-Bahrenfeld 1933“.
Einklebebild mit Bildtext aus dem Zigaretten-Bilderalbum „Gestalten der Weltgeschichte, herausgegeben vom “Cigaretten-Bilderdienst Hamburg-Bahrenfeld 1933“.Das Sammeln von Bildchen zu den verschiedensten Themen war damals eine beliebte Freizeitbeschäftigung der Kinder. Auf den Zigarettenpackungen befanden sich Banderolen mit Nummern, die bei den Geschäften in entsprechende Bildchen umgetauscht werden konnten. Das Album musste allerdings für eine Mark gekauft werden.Stark vergrößerte Seiten aus den Sammelalben des „Cigaretten-Bilderdienstes Hamburg-Bahrenfeld“, herausgegeben 1933 und 1936, bilden mit demThemenauszügen „Das Zeitalter Friedrichs des Großen“ und „Friedrich der Große und seine Zeit“ den äußeren Rahmen der Sonderausstellung und ermöglichen dem Besucher auch Einblicke in das Alltagsleben des 18. Jahrhundert
„Friedrich der Große“, Stich von Steinla, nach einem Gemälde von Anton Graff, abgedruckt in der illustrierten deutschen Schülerzeitung „Hilf mit!“, August 1936, also anlässlich des 150. Todestages des Königs.
„Friedrich der Große“, Stich von Steinla, nach einem Gemälde von Anton Graff, abgedruckt in der illustrierten deutschen Schülerzeitung „Hilf mit!“, August 1936, also anlässlich des 150. Todestages des Königs.
Das Gemälde von Graff war der einzige Wandschmuck im Führerbunker, in dem Hitler die letzten Tage seines Lebens verbrachte. (Foto: Udo Kleinfelder, Lohr)

Es ist eine der vielen dreisten Geschichtsverfälschungen der Nazis, denn das Zitat stammt aus Friedrichs Schrift „Über die deutsche Literatur“, veröffentlicht 1780, und er meinte damit, dass er eine gute, der französischen Literatur gleiche Entwicklung der deutschen Literatur nicht mehr erleben werde. Da er keine deutsche Dichtungen las, hatte er auch keine Ahnung von Goethe, Lessing, Wieland, Klopstock etc., er urteilte also über etwas, das er nicht kannte, bzw. ihm fremd war., zumal er die deutsche Sprache eher unvollkommen beherrschte.
Friedrich der Große; Schulwandbild aus dem Jahr 1933 nach einem Holzschnitt von Adolf von Menzel 1878. (Foto: Udo Kleinfelder, Lohr)
Friedrich der Große; Schulwandbild aus dem Jahr 1933 nach einem
Holzschnitt von Adolf von Menzel 1878. (Foto: Udo Kleinfelder, Lohr)
„Der Tag von Potsdam, zum 21. März 1933, Gedenkausgabe“, Titelseite einer Beilage zur Zeitung „Die Woche“.
„Der Tag von Potsdam, zum 21. März 1933, Gedenkausgabe“, Titelseite einer Beilage zur Zeitung „Die Woche“.„Die nationalsozialistische Sicht der preußischen Vergangenheit war interessengeleitet, verzerrt und selektiv. Der gesamte Verlauf der preußischen Geschichte wurde dem Paradigma der deutschen Nationalgeschichte unter rassistischen Vorzeichen unterworfen.“ (Aus: Christopher Clark, Preußen – Aufstieg und Niedergang 1600 – 1947, Pantheon Verlag, 2008)

Aus Anlass des 300. Geburtstages Friedrichs des Großen, vielen Menschen besser bekannt als der „Alte Fritz“, zeigt das Lohrer Schulmuseum ab dem 22. Januar 2012 bis zum 20. Januar 2013 in der Sonderausstellung „Ein überragender nordischer Führer“? - Friedrich der Große und das Dritte Reich, wie die Nazis Friedrich den Großen in der Schule für ihre Ideologie missbrauchten bzw. adaptierten.
Schulwandbild 1941: Frontansicht von Schloss Sanssouci (Sanssouci = ohne Sorgen) in Potsdam. Der König ließ dieses „Lusthaus auf dem Weinberg“ nach eigenen Skizzen 1745 bis 1747 von seinem Freund Knobelsdorff erbauen. In der „Tafelrunde von Sanssouci“ philosophierte der König oft mit ausgewählten Freunden. (Foto: Udo Kleinfelder, Lohr)
Schulwandbild 1941: Frontansicht von Schloss Sanssouci (Sanssouci = ohne Sorgen) in Potsdam. Der König ließ dieses
„Lusthaus auf dem Weinberg“ nach eigenen Skizzen 1745 bis 1747 von seinem Freund Knobelsdorff erbauen.
In der „Tafelrunde von Sanssouci“ philosophierte der König oft mit ausgewählten Freunden. (Foto: Udo Kleinfelder, Lohr)


Als z.B. Hitler am 21 März 1933 in der Potsdamer Garnisonskirche das „Neue Deutschland“ ausrief, musste Friedrich der Große „Pate stehen“, allerdings hätte der „Alte Fritz“ sich in dieser Rolle wohl kaum wiedererkannt, denn es war „eine arg beschnittene Version des historischen Vorbilds – seine Vorliebe für Französisch als Sprache der Zivilisation, seine Geringschätzung der deutschen Kultur und seine ambivalenten sexuellen Neigungen wurden einfach unterschlagen...Und Hitler identifizierte sich (vor allem im Verlauf des Zweiten Weltkriegs) derart mit Friedrich dem Großen, dass der einzige Wandschmuck im Führerbunker, in dem Hitler die letzten Tage seines Lebens verbrachte, 16 Meter unter den Straßen von Berlin, das Porträt Friedrichs des Großen war“. (Christopher Clark, Preußen – Aufstieg und Niedergang 1600 – 1947, Pantheon Verlag, 2008)
Schulwandbild 1933: „Der Staatsakt in der Potsdamer Garnisonskirche am 21. März 1933“. (Foto: Udo Kleinfelder, Lohr)
Schulwandbild 1933: „Der Staatsakt in der Potsdamer Garnisonskirche am 21. März 1933“. (Foto: Udo Kleinfelder, Lohr)
„Ein großer Feldherr, Staatsmann, Kolonisator, Arbeiter, Künstler, Führer, einfach und bescheiden, rücksichtslos gerecht!
Das Volk verehrte seinen König tief. Er starb am 17. August 1786 kinderlos und wurde in der Garnisonskirche beigesetzt.
Durch seinen Willen zur Wehrhaftigkeit, Ehre und Freiheit der Nation wurde er (Friedrich der Große) der Schöpfer des Geistes von Potsdam.
Über dem Grabe Friedrichs des Großen legte am 21. März 1933 unser Führer Adolf Hitler, der Kanzler des neuen Deutschen Reiches,
als Zeichen der Wiedererweckung dieses Geistes von Potsdam, sein Bekenntnis ab zu Volk und Reich.“
(Aus: GESCHICHTE DER DEUTSCHEN NATION, von Eugen Ziegelmaier, 1943, Verlag Moritz Diesterweg, Frankfurt am Main)


In den Schulen des Dritten Reichs war der Preußenkönig ständig präsent: auf Schulwandbildern, als „Lesebuch- und Anekdoten-König“, als „überragender nordischer Führer“ in den Geschichtsbüchern, als Spruchgeber für die „Wochensprüche der NSDAP“ in den Klassenzimmern, in der Freizeitliteratur der Schüler, als Werbeträger für das nationalsozialistische „WHW“ (Winterhilfswerk) usw. Und anlässlich des „150. Todestages Friedrichs des Großen am 17. August 1936“ hatten alle bayerischen Schulen in entsprechenden Feiern „auf die Bedeutung des Tages hinzuweisen“. Sofern am 17. August Ferien waren, mussten die Gedenkfeiern nach den Ferien abgehalten werden. (Bekanntmachung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 22. Juli 1936)
Lesezeichen „Seid Sozialisten der Tat – 1786 + 1936“
Lesezeichen „Seid Sozialisten der Tat – 1786 + 1936“
Anlässlich des 150.Todestages stellten die Nazis 1936
Friedrich den Großen vor allem als Sozialreformer vor.
 Im Rahmen des nationalsozialistischen Winterhilfswerkes
wurde mit entsprechenden Postkarten, Lesezeichen,
Abzeichen usw. mit dem Konterfei Friedrichs des Großen
 für das „WHW“ (Winterhilfswerk) geworben.
Und in der Lohrer Zeitung-Ausgabe vom 17. August 1936
heißt es in einem ganzseitigen Artikel u. a.:
 „Das Ideal eines humanitären Wohlfahrtstaates,
das ihm, dem 'aufgeklärten' Monarchen,
das höchste schien, das Ideal eines Staates,
der das Glück seiner Bürger pflegt und nach
 außen sichert, ist ihm zeitlebens praktisch unerreichbar
 geblieben. Aber aufgegeben hat er es darum nicht.“
Solche Behauptungen entsprachen nicht den Intentionen des Königs. Er war in erster Linie ein absolutistischer Herrscher ganz im Stildes 18. Jahrhunderts und nur insoweit „Sozialreformer“, als dies der Vergrößerung und Sicherung des preußischen Königreiches nützlich war.
(Foto: Udo Kleinfelder, Lohr)
Eisernes Abzeichen mit dem Konterfei Friedrichs des Großen für das „WHW“ (Winterhilfswerk) 1936 (Foto: Udo Kleinfelder, Lohr)
Eisernes Abzeichen mit dem Konterfei Friedrichs des Großen für das
 „WHW“ (Winterhilfswerk) 1936 (Foto: Udo Kleinfelder, Lohr)


„Es gibt keine Lorbeeren für die Faulen, Friedrich der Große“
„Es gibt keine Lorbeeren für die Faulen, Friedrich der Große“
Wochenspruch für den 23. bis 29. Mai 1938, herausgegeben von der
Gau-Propagandaleitung der NSDAP, Gau Mainfranken.

In exemplarischer Weise belegt die Ausstellung im Lohrer Schulmuseum am Beispiel Friedrichs des Großen die vielfältigen Möglichkeiten der ideologisch-politischen Ausdeutungen, Ausbeutungen und Verfälschungen im Dritten Reich, die auch auf andere totalitäre Systeme übertragbar sind - ein interessanter Rückblick anlässlich des 300. Geburtstags eines Königs, den die Geschichte nicht ohne Grund mit dem Beinamen „der Große“ ausgezeichnet hat.

Bleibt noch anzumerken: Wenn heutige Historiker gelegentlich den Versuch unternehmen, Friedrich den Großen als Wegbereiter des Dritten Reiches hinstellen zu wollen, so wird das dem genialen Staatsmann, Feldherrn, Reformer, Philosophen, dem ersten Deutschen „von europäischem Ansehen seit Luther“ (Ludwig Reiners, FRIEDRICH, Verlag C. H. Beck, München, 1952), also einem Mann mit weit überdurchschnittlichen Fähigkeiten und Lebensleistungen, nicht gerecht.
Als Friedrich der Große starb, hinterließ er seinem Nachfolger ein starkes und wirtschaftlich prosperierendes Königreich, eine europäische Großmacht in gesicherten Grenzen.
Hitler aber, ein halbgebildeter Phrasendrescher und Rassist der schlimmsten Art, der sein „Wissen“ vor allem aus den Blut- und Bodenromanen der vorausgegangenen Jahrzehnte bezog, hinterließ zerstörte Länder, ein aufgeteiltes Deutschland, verbunden mit den Erinnerungen an grauenhafte Verbrechen und 60 Millionen Tote.
„Friedrich der Große in seinem Arbeitszimmer zu Sanssouci.“, aus: „Friedrich der Grosse, dem deutschen Volke geschildert in bildlichen Darstellungen von Carl Röchling u. Richard Knötel und in historischer Ausführung von Hermann Müller-Bohn, herausgegeben v. Paul Kittel, mit Buchschmuck v. Franz Stassen“, Berlin 1901. (Foto: Udo Kleinfelder, Lohr)
„Friedrich der Große in seinem Arbeitszimmer zu Sanssouci.“, aus: „Friedrich der Grosse, dem deutschen Volke geschildert in bildlichen Darstellungen
von Carl Röchling u. Richard Knötel und in historischer Ausführung von Hermann Müller-Bohn, herausgegeben v. Paul Kittel, mit Buchschmuck
v. Franz Stassen“, Berlin 1901. (Foto: Udo Kleinfelder, Lohr) Zum Thema „Der Große“ schrieb der Buchautor Ludwig Reiners im Jahr 1952:
„In den langen Jahrtausenden der Geschichte finden wir nur drei Herrscher, welche von den Völkern der Erde mit diesem Titel ausgezeichnet werden.
Zwei von ihnen ragen durch den Umfang ihrer Reiche und ihrer Eroberungen weit über alle Staatslenker hinaus: Alexander und Karl.
Der Dritte aber war Regent eines winzigen Staates, (...) ein Mann, der jenen Ehrentitel nur dem unerhörten Einsatz seiner eigenen Person verdankt,
mit dem er die Lücken seines windigen Staatsbaus zu stopfen wusste, und der in einem Prozeß großartigster Selbsterziehung einen bösartigen,
eitlen, literatenhaften Genießer in einen menschenfreundlichen, unermüdlichen Greis mit beispielloser Härte gegen sich selbst verwandelte. (...)
In der Nacht zum 17. August 1786 starb Friedrich der Große. Seine letzten Worte: 'Der Berg ist überschritten, jetzt wird’s besser gehen.'
Da in seinen Schubladen kein heiles Hemd zu finden war, wurde er im Hemd eines Dieners begraben.“
(Aus:Ludwig Reiners. FRIEDRICH; Verlag C.H. Beck, München, 1952)

Übrigens: Wie unterschiedlich Friedrich der Große in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bewertet wurde, zeigt sich auch in den nachfolgenden Beispielen:

Der Buchautor Ludwig Reiners schreibt im Jahr 1952: „Der wirkliche Friedrich war eine verwickelte, durchaus dämonische Natur, vom ersten Tag an verhaßt und vergöttert, einer der verschlagensten und zähesten Staatsmänner, einer der standhaftesten und erfindungsreichsten Feldherrn aller Zeiten (...).“

Anlässlich des 250. Geburtstages des „Alten Fritz“ bringt die Illustrierte Quick in der Februar-Ausgabe 1962 einen ausführlichen Artikel, der mit den Sätzen endet: „Und was groß an ihm war, was wirklich groß und gut an Preußen war – dieses Erbe lebt noch heute in Millionen Deutschen fort. Das Erbe heißt: Selbstlosigkeit im Dienen, Unbestechlichkeit im Amt, Duldsamkeit in Wissenschaft und Forschung, Gerechtigkeit für jedermann...“

Wesentlich kritischer und negativer urteilt der „Spiegel“ anlässlich des 200. Todestages Friedrichs des Großen in der Ausgabe vom 4. August 1986, in einem ebenfalls sehr umfangreichen Beitrag, und schreibt abschließend: „Vom Großen König...bleibt die exemplarische Lebensleistung eines in sich disharmonischen, zum Bösen geneigten und zum Bösen geprügelten Glücksprinzen und Schmerzensmannes.“

Im heutigen Gesamturteil aber und unbestritten ist Friedrich der Große der bedeutendste Herrscher im Deutschland des 18. Jahrhunderts – und selbst seine größten Kritiker werden diesem Mann mit seinen überdurchschnittlichen Fähigkeiten, die ihn nicht nur zum Begründer der Großmacht Preußen, sondern auch zu der herausragenden Erscheinung seines Jahrhunderts werden ließen, den Titel „Der Große“ nicht streitig machen.


Alle Texte: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main, Tel.: 09359-317, e-Mail: eduard.stenger@gmx.net
Alle Fotos: Udo Kleinfelder, Lohr a.Main

Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist von Mittwoch bis Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen
 jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger Absprache außerhalb der regulären Öffnungszeiten
das Museum besuchen.
 (Kontakt: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main; Tel. 09352/4960 oder 09359/317, e-Mail: eduard.stenger@gmx.net )

Ernst Huber
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