Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum
vom 16. Nov. 2016 bis 26. März 2017
„Wie von Zauberhand“


Abschlussfoto einer Lohrer Handarbeitsgruppe (16-jährige „Sonntagsschülerinnen“) mit ihrer Lehrerin Frau Wunderlich um 1880.
Abschlussfoto einer Lohrer Handarbeitsgruppe (16-jährige „Sonntagsschülerinnen“) mit ihrer Lehrerin Frau Wunderlich um 1880.

Wie von Zauberhand gemacht erscheinen die Stücke der neuen Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum:
zarte Handschuhe und Söckchen - mit unvorstellbar dünnen Nadeln gestrickt -, Deckchen, umhäkelte und bestickte Taschentücher, Lochstickerei auf feinstem Batist, Makramee- und Klöppelarbeiten, Stick- und Strickmuster und vieles mehr.
Diesen Schatz erhielt das Schulmuseum vom Schwesternwohnheim der Franziskanerinnen in Lohr-Sendelbach. Schwester Angela, die lange Zeit als Handarbeits- und Hauswirtschaftslehrerin an der Volksschule Dettelbach tätig war, hat die Sammlung verschiedenster Nadelarbeiten in ihrem über 80-jährigen Leben zusammengetragen. Auch heute noch animiert sie ihre Mitschwestern zum Handarbeiten.
Handarbeitsstunde an einer Höheren Töchterschule, Holzstich um 1890.
Handarbeitsstunde an einer Höheren Töchterschule, Holzstich um 1890.

Ihre Augen leuchten, wenn sie verschiedene Techniken erklärt und mit kleinen Rollen und Farbe Muster auf Stoffe aufbringt, die mit Festonstichen umnäht gleichmäßig gezackte oder gewellte Kanten an Taschentüchern oder Deckchen ergeben.
Die Teile sind mit feinsten Fäden gearbeitet und man kann nur ahnen, wie zeit- und arbeitsaufwändig ihre Herstellung war. Entstanden sind sie vorwiegend Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts - gut zu erkennen an teilweise aufgestickten oder eingehäkelten Jahreszahlen -, als die Franziskanerinnen in Lohr noch eine „Höhere Töchterschule“ leiteten. Dort wurden im Handarbeitsunterricht natürlich in erster Linie Stücke für den „gehobenen Haushalt“ hergestellt, was die Zartheit der ausgestellten Stücke erklärt, gröbere Arbeiten wie das Stricken von Strümpfen mit Schafswolle, Stopfen oder Nähen von Bettwäsche überließ man den Volksschulen.
Strickunterricht in einer Schwälmer (Nordhessen) Schule, Holzstich 1894
Strickunterricht in einer Schwälmer (Nordhessen) Schule, Holzstich 1894

Die „Schul- und Lehrordnung für die Volksschule“ Unterfrankens beschrieb im Jahr 1913 die Zielsetzung des Schulfachs „Mädchen-Handarbeiten“ wie folgt: „Der Unterricht soll die Schülerinnen befähigen die im häuslichen Leben unentbehrlichen einfachen Nadelarbeiten selbständig, genau und sauber zu besorgen; er soll zugleich zur Achtsamkeit, Ordnung und Sparsamkeit erziehen und den Schönheitssinn pflegen.“
ABC-Mustertuch mit moralisierenden Sprüchen, um 1910
ABC-Mustertuch mit moralisierenden Sprüchen, um 1910

Gezeigt werden in der Sonderausstellung auch Hilfsmittel und Geräte, die das Handarbeiten erleichterten. Dazu gehören Musterbücher und Anleitungen, Stickrahmen, Stempelrollen zum Aufbringen von Mustern, Kupferplättchen für das Vorzeichnen von Monogrammen, und natürlich verschiedenste Nadeln.
Vergrößerte Werbemarken für Textilien usw. aus der Zeit um 1910. Solche Marken wurden damals vor allem zum Verschließen von Briefen verwendet, waren aber auch bei den Kindern ein beliebtes und kostenloses Sammel-Hobby.
Vergrößerte Werbemarken für Textilien usw. aus der Zeit um 1910. Solche Marken wurden damals vor allem zum Verschließen
von Briefen verwendet, waren aber auch bei den Kindern ein beliebtes und kostenloses Sammel-Hobby.

Ergänzt durch Fotografien aus den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, die Schulklassen der „Höheren Töchterschule“ in Lohr und Mädchen beim Handarbeiten zeigen, gibt die Sonderausstellung Einblick in Techniken und Fertigkeiten, die heute in der Schule nicht mehr gelehrt werden und nun drohen, in Vergessenheit zu geraten.
Denn wer weiß schon noch, wie man festoniert oder was Occhihäkeln ist?
Die Ausstellung  „Wie von Zauberhand“ wird vom 16. Nov. 2016 bis 26. März 2017 im Erdgeschoss des Schulmuseums in Lohr-Sendelbach gezeigt.
(Text und Fotos: Bettina Merz, Mitarbeiterin im Lohrer Schulmuseum)

Allgemeines zur Geschichte des Handarbeitsunterrichts

„Der Unterricht soll die Schülerinnen befähigen die im häuslichen Leben unentbehrlichen einfachen Nadelarbeiten selbständig, genau und sauber zu besorgen; er soll zugleich zur Arbeitsamkeit, Ordnung und Sparsamkeit erziehen und den Schönheitssinn pflegen.“ Mit diesem Satz beschrieb die „Schul- und Lehrordnung für die Volksschule“ Unterfrankens im Jahr 1913 die traditionelle Zielsetzung des Schulfachs „Mädchen-Handarbeiten“.
Noch bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts änderte sich wenig an der fachlichen Ausrichtung, und es war ein typisches Beispiel für die Rollenzuweisung der Frau.

Die Geschichte des Handarbeitsunterrichts geht zurück bis ins Mittelalter, als in Nonnenklöstern den Mädchen der umliegenden Siedlungen u. a. auch Handarbeitsunterricht angeboten wurde.
Im 16. Jahrhundert entstanden sog. Strickschulen: Frauen unterwiesen Mädchen gegen Entgelt im Stricken.
Eine Fortsetzung erfuhren diese privaten Strickschulen durch die Industrieschulen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die schulpflichtigen Mädchen wurden an unterrichtsfreien Nachmittagen von einer Frau (oft der Frau des Lehrers) mit den verschiedenen textilen Techniken vertraut gemacht – Ergebnis einer neuen pädagogischen Idee mit dem Ziel der „Bildung zur Arbeit durch Arbeit“. In Franken war es der 1730 in Lohr a.Main geborene spätere Fürstbischof von Bamberg und Würzburg, Herzog von Franken, Franz Ludwig von Erthal, der schließlich mit zwei Dekreten 1790 und 1792 den Unterricht in weiblichen Handarbeiten als obligatorisches Fach im Rahmen des Industrieunterrichts einführte. Da aber fachliches Personal fehlte, war man gezwungen, „als Handarbeitslehrerinnen Frauenspersonen zuzulassen, die außer einiger Fertigkeit im Stricken und Nähen weiter keine besondere Qualifikation zu diesem Berufe aufzuweisen vermochten. Die Kgl. Regierung verfügte daher mit Entschließung vom 26. Februar 1883, daß die Anstellung der Arbeitslehrerinnen (=Handarbeitslehrerinnen) fernerhin von dem Nachweis einer entsprechenden Vorbildung und dem Erstehen einer besonderen Prüfung abhänge, erließ mit Entschließung vom 2. März 1883 eine Prüfungsordnung und traf gleichzeitig Vorkehrungen zur jährlichen Abhaltung von Arbeitslehrerinnenprüfungen...“ (aus: Das unterfränkische Volksschulwesen in den Jahren 1868 – 1893, abgedruckt im Schulanzeiger für Unterfranken und Aschaffenburg 1893).
Eine neue Ausrichtung erfuhr der Handarbeitsunterricht zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Reformpädagogen, die in diesem Fach auch die erzieherischen Möglichkeiten, die Weckung schöpferischer Kräfte usw. betonten.
Wiederum eine neue Bedeutung erhielt das Fach Handarbeiten im Ersten Weltkrieg (1914-1918). Nun sollten die Mädchen vor allem „Kriegsstrickerinnen“ werden, indem sie für die Front-Soldaten wollene Kälteschützer der verschiedensten Art strickten.
Mit dem Beginn des Dritten Reichs wurde an den Schulen das sog. Strickopfer als eine besondere Art der Solidarität eingeführt. Die Mädchen einer Schule strickten Handschuhe u. ä. für die Kinder in den Notstandsgebieten (etwa dem Spessart). Und gemäß dem Lehrplan für die bayerische Volksschule 1940 war nun u.a. im 5. Schuljahr das Stricken von BDM-Strümpfen und im 8. Schuljahr das Zuschneiden und Nähen einer BDM-Bluse (BDM= Bund Deutscher Mädel, eine Unterorganisation der Hitlerjugend) obligatorisch.
In den Notstandsjahren der Nachkriegszeit 1945-1950 stand der Handarbeitsunterricht ganz im Zeichen der nützlichen Arbeiten und der textilen Selbstversorgung, wobei fehlende Schulräume, zu große Schülerinnenzahlen und Materialmangel einen effektiven Unterricht erheblich erschwerten. Welchen Stellenwert aber man in dem Fach Handarbeit zu dieser Zeit sah, dokumentiert ein Bericht aus dem Jahr 1950 in einer Lohrer Tageszeitung mit dem Titel „Lernen unsere Mädchen Handarbeiten?“, in dem besorgte Lohrer BürgerInnen im Rahmen einer Bürgerversammlung Verbesserungen in diesem Unterrichtsfach anmahnten.
Heute ist das Fach Handarbeiten Teil des textilen Werkens in der Schule. „Mehrere Tendenzen lassen sich ausmachen; z. B. die Ausweitung der Verbindung mit anderen Fächern oder die Einbeziehung der textilen Wirklichkeit anderer Kulturen. Als Fachziel scheint sich auch ein Beitrag zur Berufsorientierung zunehmend zu etablieren. Der seit einiger Zeit betonten ästhetischen Erziehung als Erziehung der Sinne ist das Fach verbunden.“ (Horst Schiffler, Professor i. R. für Grundschulpädagogik und Leiter des Saarländischen Schulmuseums)
(Text: Eduard Stenger)

Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist von Mittwoch bis Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils
von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger Absprache außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen.
(Kontakt: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a. Main
Tel. 09352/4960 oder 09359/317, E-Mail: eduard.stenger@gmx.net

zurück zur Startseite
zurück zur Startseite