Aus der ständigen Ausstellung und dem Archiv des Lohrer Schulmuseums
– ein Beitrag zum Weißen Sonntag:


Der Weiße Sonntag – ein Freudentag!?

Wenn an den Sonntagen nach Ostern die Feiern zur ersten heiligen Kommunion stattfinden, sind damit auch erhebliche Ausgaben verbunden und einmal mehr wird der wichtigste Tag des katholischen Kindes Anlass zur kritischen Frage geben, ob der Weiße Sonntag sich nicht eher zu einem Geschenkewettbewerb mit teuerer Tagesgestaltung in einer Gaststätte entwickelt, und der religiöse Teil nur noch nebensächlich ist.
Ein Blick in vergangene Zeiten zeigt aber, dass es schon immer Probleme mit diesem Festtag gab.
Das war auch in Lohr vor mehr als 100 Jahren nicht anders.
Der Kommunikant Franz Goepfert (geb. 1900) 1912
Der Kommunikant Franz Goepfert (geb. 1900) 1912
Die Kommunikantin Karolina Goepfert (geb. 1898) 1910
Die Kommunikantin Karolina Goepfert (geb. 1898) 1910
Zahlreich und nicht zu übersehen waren die Inserate im Lohrer Anzeiger zum Thema „Communion“. Angeboten wurde alles, was gut und teuer war: „Kopfkränzchen, Brustbouquetchen, Atlasbänder, Corsettchen, seidene Tücher, Rüschen, Cravatten...“ (aus dem Inserat des Joseph Lembach) bis hin zum Prachtband „Der große Krieg“, den die Expedition des „Lohrer Anzeiger“ als passendes Kommuniongeschenk für Buben und Mädchen offerierte.
Offizielles Erinnerungsbild des Lohrer Pfarramtes 1910 für die Kommunikantin Karolina Goepfert
Offizielles Erinnerungsbild des Lohrer Pfarramtes 1910 für die Kommunikantin Karolina Goepfert
Wer hier gesellschaftlich mithalten wollte, musste sein Kind entsprechend teuer ausstatten. Und das Festmenü in einem der zahlreichen Lohrer Gasthäuser, zuweilen noch mit Tafelmusik untermalt, war auch damals nicht umsonst zu haben und manche Familie, die sich ein derart aufwändiges Fest nicht leisten konnte, geriet in finanzielle Probleme. Der Lohrer Geschäftswelt brachte die Erstkommunion jedenfalls einen erfreulichen und einkommenskräftigen Umsatz.
Titelseite („Zweites Blatt“), Lohrer Anzeiger vom 14. März 1903
Titelseite („Zweites Blatt“), Lohrer Anzeiger vom 14. März 1903
Gebetbuch und Rosenkranz für die Kommunikantin Maria Sopp 1878
Gebetbuch und Rosenkranz für die Kommunikantin Maria Sopp 1878
Häufig kam das Kirchenfest auch wegen manchen anderen negativen Begleitumständen in die Kritik. So berichtete der Redakteur des „Schulanzeiger für Unterfranken und Aschaffenburg“ 1880 über „die Unsitte des oft wochenlangen Herumziehens der ländlichen Erstkommunikanten und Firmlinge in den Vergnügungslokalen der Stadt“, und er fuhr fort: „Vor einigen Wochen kam ich nachmittags an einer obskuren Winkelkneipe im Erdgeschoße einer der 'dunkelsten' Gassen Würzburgs vorbei. Wüstes Geschrei und anstößige Gesänge erfüllten das Lokal, unter Soldaten und Bauernmädchen in festtäglicher Kleidung saßen die Erstkommunikantinnen in ihren weißen Kleidern mit Kränzen ums Haupt gewunden; eine mehr als angeheiterte Stimmung schien bereits allseitig zum Durchbruch gekommen! (...) Nicht unbedenklich ist auch die Ausstellung der sog. „Bettelakkreditive“ für bedürftige Erstkommunikanten, womit dieselben alljährlich im März und April die Stadtbewohner belästigen. Das empfangene Almosen bleibt in gar vielen Fällen wieder in der Stadt hängen, indem es für Näschereien, Tändeleien, Zechkosten draufgeht...“.
Offizielles Erinnerungsbild des Lohrer Pfarramtes 1912 für den Kommunikanten Franz Goepfert
Offizielles Erinnerungsbild des Lohrer Pfarramtes 1912 für den Kommunikanten Franz Goepfert
Immer wieder wurde auch in amtlichen Mitteilungen der Regierung von Unterfranken die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen über den Schulbesuch der Erstkommunikanten angemahnt, z.B. mit Schreiben vom 8. März 1889, in dem es hieß: „Trotz der Bekanntmachungen vom 7. Juni 1869 und vom 30. Juni 1884 kommt es häufig vor, daß Erstkommunikanten und Firmlinge unter Genehmhaltung der Ortsschulbehörden (das war in der Regel der Pfarrer) und Lehrer nach dem Kommunion- und Firmungstage einen und sogar mehrere Tage vom Unterricht wegbleiben, welche Zeit dann zu allerlei Vergnügungen und Belustigungen mißbraucht zu werden pflegt. An manchen Orten wird den Kindern sogar schon vor dem Festtage der Schulbesuch nachgelassen, um Moos im Walde zu holen, Kränze zu winden, die Kirche zu schmücken und Anderes ausrichten zu können, wozu Kinder nicht berufen sind. Angesichts dieser Wahrnehmungen wird ebensowohl aus erziehlichen Gründen wie aus Rücksicht auf einen geregelten und erfolgreichen Schulbetrieb – und zwar unter Strafandrohung gegen das Lehrpersonal – eingeschärft, daß für Erstkommunikanten und Firmlinge eine außerordentliche Befreiung vom Schulbesuche nicht eingeräumt ist und daß dieselben daher sowohl vor wie nach dem Festtage den Unterricht regelmäßig zu besuchen haben.“
„Andenken an die erste hl. Communion“, um 1900
„Andenken an die erste hl. Communion“, um 1900
Das Problem nicht genehmigter Unterrichtsbefreiungen bestand zumindest bis in die jüngste Vergangenheit und wurde mit allerlei Begründungen umgangen – gewissermaßen als „blauer Montag“, wie er früher bei den Handwerksgesellen häufig üblich war.
Als durchaus positiv kann aber ein um 1900 in Lohr üblicher Brauch gesehen werden, über den der Lohrer Anzeiger z.B. am 22. April 1898 berichtete: „Vergangenen Mittwoch Nachmittags wurde den hiesigen Erstkommunikanten bezw. Konfirmanden (nämlich 30 katholischen und 4 protestantischen Knaben der Volksschule) eine große Freude bereitet, indem ihnen seitens des hiesigen Obst- und Gartenbau-Vereines je ein schöner Apfelbaum zur eigenhändigen Anpflanzung auf den Grundstücken ihrer Angehörigen und ferneren Pflege schenkungsweise überlassen wurde. Die Überreichung dieser Bäume fand in Anwesenheit des Herrn Hauptlehrers und Rektors Wetzel nach erfolgter Belehrung statt und nach dieser Überreichung widmete ein Erstkommunikant im Namen seiner Mitschüler dem Obst- und Gartenbau-Verein für diese schöne Erinnerungsgabe den innigsten Dank mit dem Wunsche auf ferneres Blühen und gedeihliches Wirken des genannten Vereines unter Darbringung eines dreifachen Hoch auf genannten Verein.“
35 Jahre später begann das Dritte Reich und die braunen Genossen suchten nach Möglichkeiten, kirchliche Feste im Sinne der NS-Ideologie zu instrumentalisieren, und dazu gehörte natürlich auch der Weiße Sonntag. Sie gingen dabei recht geschickt vor. Mit Zeitungsinseraten riefen Lohrer Parteigenossen im Februar 1934 zu Spenden für bedürftige Erstkommunikanten auf, und es wurde in Lohr und jeder Ortschaft des Lohrer Landkreises eine Sammlung durchgeführt unter dem Motto: „Zum schönsten Tag des Kindes!“. Ein Monat später wurde die Absicht der Nazis deutlicher. Unter der Rubrik „Mitteilungen der NSDAP“ wurde den Lohrern am 13. März 1934 über die Lohrer Zeitung u.a. mitgeteilt: „Auf Grund einer Anweisung der Reichsjugendführung ordnet der Oberbannführer 3/18 Unterfranken an, daß alle Angehörigen des Deutschen Jungvolks und der Hitler-Jugend, die dieses Jahr kommunizieren oder konfirmiert werden, zum Festakt in der Kirche die Uniform tragen. Das Jungvolk geht in neuem Braunhemd, schwarzer Binder und Lederknoten, schwarze kurze Hose, graue Kniestrümpfe, braune HJ.-Halbschuhe. Vorschriftsmäßige Abzeichen sind anzulegen. Hitler-Jungen tragen neues Braunhemd, schwarzen Binder mit br. Lederknoten, hellbraune kurze Hose, graue Kniestrümpfe, braune HJ.-Halbschuhe, Achselklappen, Armbinde, HJ.-Abzeichen. Sowohl DJ. wie HJ. tragen vorschriftsmäßiges Koppelzeug mit Schulterriemen.
Offizielles Erinnerungsbild des Lohrer Pfarramtes 1878 für die Kommunikantin Maria Sopp
Offizielles Erinnerungsbild des Lohrer Pfarramtes 1878
für die Kommunikantin Maria Sopp
Andachtsbildchen zur ersten hl. Kommunion, um 1900: „In der Kommunion erlangen wir Kraft für jede Arbeit und jedes Opfer.“
Andachtsbildchen zur ersten hl. Kommunion, um 1900:
 „In der Kommunion erlangen wir Kraft für jede Arbeit und jedes Opfer.“
Diese Regelung wurde im Einvernehmen mit den kirchlichen Stellen aus wirtschaftlichen Gründen getroffen.“
Mit dem „Einvernehmen“ war es wohl nicht weit her, denn zehn Tage später erklärte das Würzburger Diözesanblatt u.a.: „Die Feier der Erstkommunion war von jeher ein kirchliches Fest. Die Anordnungen hinsichtlich der kirchlichen Feier, besonders auch hinsichtlich der Kleidung der Erstkommunikanten wurden immer von den zuständigen kirchlichen Stellen im Einvernehmen mit den Eltern getroffen. (...) Die Eltern haben es immer als Ehrenpflicht erachtet, in verständnisvollem Zusammenwirken mit den Seelsorgern in diesem Sinne den Weißen Sonntag vorzubereiten. Wir wünschen, daß die Seelsorger und die Eltern an diesen Grundhaltungen und Gebräuchen bei der ersten hl. Kommunion festhalten. (...) Wir haben das Vertrauen, daß unsere HH: Geistlichen etwa auftretende Schwierigkeiten im Geiste der Liebe und der christlichen Klugheit zu lösen wissen.“
Aus dem kollektiv-uniformierten NS-Kommunikanten-Aufmarsch wurde nichts.
In den 50er Wirtschaftswunderjahren des 20. Jahrhunderts geriet der Weiße Sonntag wieder in die Schlagzeilen. „Freudentag ist in Gefahr“ titelte 1958 eine Lohrer Tageszeitung, und der Redakteur nahm das Thema zum Anlass zu einem zeitkritischen Artikel, in dem er u.a. schrieb: „Die Jugend wird früher reif infolge der Häufung der Reize, die auf sie einstürmen und schier in seltsamem Widerspruch das Denken verlangsamen. (...) Das Familienfest am Tag der Kommunikanten und Konfirmanden gibt es heute so gut wie gestern, aber was bedeutet heute schon noch so ein Fest im Vergleich zu einst! Heutzutage, wo Torte mit Schlagsahne etwas Alltägliches geworden ist, wo tausenderlei Genüsse im Zeichen des gestiegenen Wohlstandes an der Tagesordnung sind! (...) Im übrigen beherrschen die Interessen und nicht die Ideale die Stunde. Kein Wunder, wenn der Alltag immer alltäglicher wird und trotz allem Freizeitgerede auch noch den Sonntag verschluckt. Läuft auch der 'Freudentag', wie die Alten den Weißen Sonntag genannt haben, Gefahr seinen Namen zu verlieren?“
Vieles von dem, was der Lohrer Redakteur vor 54 Jahren schrieb, hat auch noch heute oder gerade heute eine bemerkenswerte Aktualität.

Alle Texte: Bert und Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main

Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist von Mittwoch bis Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger Absprache außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen. (Kontakt: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main; Tel. 09352/4960 oder 09359/317, e-Mail: eduard.stenger@gmx.net)

Ernst Huber
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