„Lieb Vaterland magst ruhig sein.“
Wehrerziehung vor dem 1. Weltkrieg
Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum
19. Januar bis 1. Juni 2014:


Im deutschen Kaiserreich prägte die patriotisch-militärische Begeisterung nahezu alle Lebensbereiche. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass selbst die Schulanfänger als „Schulrekruten“ bezeichnet wurden – Rekrut war an sich damals wie heute die übliche Bezeichnung des Soldaten in der ersten Zeit der Ausbildung.
Mit sechs Themen zeigt das Lohrer Schulmuseum im Eingangsbereich des Museums die verschiedenen Formen der Wehrerziehung und verdeutlicht das hohe Ansehen des preußisch-deutschen Militärwesens (dessen Auswüchse der „Hauptmann von Köpenick“ vor 100 Jahren zu einem genialen Gaunerstreich nutzte).
„Üb' Aug' u. Hand fürs Vaterland!“ Spiel um 1910
„Üb' Aug' u. Hand fürs Vaterland!“ Spiel um 1910
Das Militär wurde in vielen Kinderbüchern als etwas Erhabenes und Sympathisches dargestellt, oft auch verniedlicht und geschönt, und den Buben zur spielerischen Nachahmung empfohlen. Die dabei häufig gewählte Versform sollte zum Auswendiglernen anregen und dadurch eine nachhaltigere Begeisterung sichern. Beispiel:
„Nur wacker mit.
Da kommen die Soldaten, in gleichem Schritt und Tritt.
Kein Mann darf stehen bleiben. Sie müssen alle mit.
Der Trommler schlägt die Trommel. Der Hauptmann geht voran.
Der Fahne folgen alle, Soldaten Mann für Mann.
Die Uhr hat zwölf geschlagen. Wir gehen wacker mit.
Wir folgen den Soldaten, in gleichem Schritt und Tritt.“
(Aus: Großstadtfibel, Verlag Otto Nemnich in Leipzig, um 1913)
Seite aus dem Kinderbuch „Lieb Vaterland magst ruhig sein.
Seite aus dem Kinderbuch „Lieb Vaterland magst ruhig sein.
Seite aus dem Kinderbuch „Lieb Vaterland magst ruhig sein.
Seite aus dem Kinderbuch „Lieb Vaterland magst ruhig sein.

Neben den patriotisch-militärischen Kinderbüchern sollten die verschiedensten Spiele die Buben in ihrer Freizeit für den späteren Einsatz beim Militär vorbereiten.
Als 1898 der Flottenverein zur Förderung der neuen See- und Kolonialpolitik Kaiser Wilhelms II. gegründet wurde, fand die offizielle Flottenpropaganda ihren Niederschlag auch in der Kindermode in Form des Matrosenanzugs. Die von Wilhelm Bleyle angebotene relativ preisgünstige und alltagstaugliche Kinderkleidung fand weite Verbreitung, vor allem beim Großbürgertum, und entsprach in der Beliebtheit dem späteren Jeanslook.

-Militärisches Spielzeug (preußische Husarenpelzmütze für einen Buben; originalgetreue verkleinerte Nachbildung der Pelzmütze eines Husaren im preußisch-deutschen Heer und ein entsprechender Säbel für die Buben) um 1910
-Militärisches Spielzeug (preußische Husarenpelzmütze für einen Buben; originalgetreue verkleinerte Nachbildung der Pelzmütze
eines Husaren im preußisch-deutschen Heer und ein entsprechender Säbel für die Buben) um 1910
Bereits um 1890 hatte man sich mit einer „vormilitärischen Jugendpflege“ befasst, um die männliche Jugend für die körperlichen und moralischen Anforderungen im Heer zu ertüchtigen. Der 1911 gegründete  Jungdeutschland-Bund (JDB) war schließlich ein halbstaatlicher Dachverband entsprechender Jugendorganisationen mit Ausrichtung auf einen baldigen Krieg. Im Jahresbericht „Jungdeutschland 1913“ wurde auch die Mitwirkung des Militärs an der Ausbildung des JDB klar umrissen. Es sollte die Jugend vor allem wehrhaft, körperlich und seelisch gekräftigt, sowie zu Ordnung und Gehorsam erzogen werden.
1914 hatte der Jungdeutschland-Bund 750 000 Mitglieder. Dazu gehörten auch die Mitglieder der Deutschen Pfadfinderbewegung (DPB) und Mitglieder des „Wandervogels“. Die weitere Entwicklung der vormilitärischen Jugenderziehung und seiner zunehmenden Verstaatlichung führte schließlich im Dritten Reich zur Hitlerjugend als „Staatsjugend“.

Matrosenanzug und vergrößerte Werbemarken um 1910
Matrosenanzug und vergrößerte Werbemarken um 1910 Die offizielle Flottenpropaganda fand ihren Niederschlag auch in der
Kindermode in Form des Matrosenanzugs. Die von Wilhelm Bleyle angebotene relativ preisgünstige und alltagstaugliche Kinderkleidung
 erfreute sich großer Beliebtheit, vor allem beim Großbürgertum.
Dass es auch immer wieder Überlegungen gab, die Schulen stärker in die Wehrerziehung einzubinden, zeigt ein Beitrag in der Allgemeinen Deutschen Lehrerzeitung im Jahr 1909:
„Schießunterricht an den höheren Schulen. 'Vor einiger Zeit ist an der Oberrealschule Elberfeld ein interessanter Versuch gemacht worden, den Schießunterricht an den höheren deutschen Schulen einzuführen, um die Schüler auf ihre zukünftige militärische Tätigkeit vorzubereiten. Es nehmen vorderhand an dem Unterricht nur die Schüler der Oberprima teil. Ferner ist der Unterricht und die Teilnahme an ihm freiwillig. Aber die große Beteiligung zeigt, welch großes Interesse die Jugend diesen Schießübungen entgegenbringt.' So zu lesen in der Deutschen Zeitung vom 5. Mai und anderen Tagesblättern. Es ist unglaublich, was für Blüten der Wunsch, alles Mögliche und Unmögliche in den Schulbetrieb hineinzupressen, heutzutage hervorbringt. Was soll heute nicht alles 'freiwillig' getrieben werden: Handfertigkeitsunterricht, Bürgerkunde, Geländeübungen, ganz abgesehen von den Turnspielen und vom Rudern, und hunderterlei mehr. Und nun noch gar Schießen! Es wird immer schöner! Köstlich ist die Bemerkung des Reporters, daß der Unterricht im Schießen nur 'freiwillig' sein solle. Ich hatte schon geglaubt, als verbindliches Lehrfach, so daß dann vielleicht in der Reifeprüfung ein Nichtgenügend im Französischen durch sehr gut im Schießen ausgeglichen werden könnte.“

Hut, vergrößerte Werbemarken usw. des 1911 gegründeten Jungdeutschland-Bundes (JDB)
Hut, vergrößerte Werbemarken usw. des 1911 gegründeten Jungdeutschland-Bundes (JDB)
Der JDB war ein halbstaatlicher Dachverband der ab 1890 entstandenen  Jugendverbände, deren Hauptziel es war, die männliche
Jugend für die körperlichen und moralischen Anforderungen des Dienstes im Heer zu ertüchtigen.
1914 hatte der Jungdeutschland-Bund 750 000 Mitglieder.
Die anschauliche Sonderausstellung hat exemplarischen Charakter und ist eine interessante Ergänzung der Jahressonderausstellung im Gewölbekeller des Museums „Meine Feder werd' zur Lanze!“ Erziehung zum Krieg 1914-1918 (ab dem 26. Jan. 2014).
Weitere ergänzende Informationen findet der Besucher im Bereich Kaiserreich der ständigen Ausstellung des Museums

Erziehung zum Krieg: Schießunterricht an den Schulen (Artikel in der „Allgemeinen Deutschen Lehrerzeitung“) und Schweizer Schüler-Gewehr mit dem Schaftbrand „Gymn.“ („Gymnasium“) auf dem Gewehrkolben, um 1870. Der Schießunterricht gehörte zum obligatorischen Bestandteil der Lehrpläne an den Schweizer Gymnasien.
Schießunterricht an den Schulen (Artikel in der „Allgemeinen Deutschen Lehrerzeitung“) und Schweizer Schüler-Gewehr mit dem
 Schaftbrand „Gymn.“ („Gymnasium“) auf dem Gewehrkolben, um 1870. Der Schießunterricht gehörte zum obligatorischen Bestandteil
der Lehrpläne an den Schweizer Gymnasien.

„Kriegerisch herausgeputzte Jungen“

Das Thema „Militarisierung der Jugend“ fand auch in anderen Staaten Interesse – eine Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum als Ergänzung der Jahressonderausstellung ab 26. Jan. 2014 bis 6. Jan. 2015 „Meine Feder werd' zur Lanze!“ - Erziehung zum Krieg 1914-1918

Immer wieder berichtete die Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung über derartige Vorgänge und oft mit einem ironischen Unterton, so zum Beispiel:

am 30. September 1883: Mit der Bewaffnung der Pariser Jugend wird nun Ernst gemacht. Der Seinepräfekt hat den Erlaß über die „Schulbataillone der Stadt Paris“ bereits unterzeichnet. In den 24 Arrondissements (Stadtbezirken) werden alle kriegsfähigen Schüler französischen Ursprungs in den Gemeindeschulen zu 24 Bataillonen organisiert, in welche auch die Schüler aus Privatschulen und solche, die im väterlichen Hause unterrichtet werden, eingereiht werden. Die aus 4 Kompanien bestehenden Bataillone werden mit Gewehren von dem offiziellen Modell ausgerüstet: die Kleidung besteht aus Weste, Hose, Barett, Gürtel, Tornister und Gewehrriemen: alles auf Unkosten der Stadt und städtischen Eigentums. Der Rest der Bekleidung bleibt den Familien überlassen, Unbemittelte erhalten dieselbe aus den Arrondissementskassen. Gewehr und Munition dürfen nur von ernannten Lieferanten bezogen werden und werden in den Schulen aufbewahrt. Zur Deckung der Unkosten für 1883 wird ein Kredit von einer halben Million im Gemeinderat eröffnet.

am 31. August 1884: Die französischen Schülerbataillone.  Bei dem großen Nationalfeste, welches in Paris am 14. Juli gefeiert wurde, sind natürlich auch die „Schülerbataillone“ mitgefeiert worden. 24 solcher Bataillone sind jetzt organisiert und jedes hat eine Stärke von 300 Mann oder genauer von 300 Knaben, sodaß an den entzückten Eltern und Verwandten über 7000 kriegerisch herausgeputzte Jungen vorübertrotteten. Die Knirpse tragen ein blaues Wams, Segeltuchhosen, eine blaue Matrosenmütze mit weißem Querstreifen, der von einem Ohr zum andern läuft, und einen Ledergürtel. Bewaffnet sind sie mit einem Gewehr, das nicht schießt, und einem Bajonett, das nicht sticht.

am 18. August 1895: Seit die Spanier ein Kind zum König haben, wachsen in Spanien die Kinderbataillone wie Pilze aus dem Boden; jedes Dorf und jedes Städtchen hat seine dressierten Kinder, die nach der Schulzeit sich soldatischen Übungen widmen und durch einen exakt ausgeführten Parademarsch oder durch geschickte Gewehrgriffe den Erwachsenen Bewunderung abtrotzen. Das Knabenbataillon von Granada hat sich nun empört, weil man ihm einen ihm zukommenden Geldbetrag – wahrscheinlich für Bonbonzwecke – noch nicht ausgezahlt hat. Die lieben Kinder besuchten die Zeitungsredaktionen und brachten ihre Klagen gegen die Behörden vor, dann durchzogen sie die Straßen der Stadt und schlugen einige Laternen entzwei. Wenn sie sich nur nicht den kubanischen Insurgenten anschließen!

am 31. August 1906: Rumänien.  Bukarest.  Bei der Militärparade, die hier gelegentlich des Regimentsjubiläums König Carols abgehalten wurde, erregte der Durchzug der Schülerbataillone großes Aufsehen. Die Schüler sämtlicher Dorfschulen sind nämlich militärisch organisiert worden und erhalten durch militärische Instruktoren eine gründliche militärische Ausbildung. Sie sind nicht nur vollständig bewaffnet, sondern werden auch im Schießen eingeübt und mit Geländemanövern bekannt gemacht. Die Schüler mehrerer Dörfer bilden zusammen ein Bataillon. Deren militärische Organisation geht so weit, daß sie sogar eine fahrende Ambulanz und eine gut abgerichtete Sanitätskolonne haben. Selbstverständlich haben sie Trompeter und Trommler, wie auch in einigen Bezirken vollständige Militärmusiken. In bezug auf diese ganze Organisation hat die Regierung ein Inspektorat für die militärische Ausbildung dieser Schüler errichtet. Man verspricht sich von dieser Errichtung sehr viel und hofft, durch sie später die militärische Dienstzeit bedeutend herabsetzen zu können, da die lange Zeit, die für den Paradedrill und die weiteren Übungen verwendet wird, durch die Vorbildung der Rekruten erspart werden könnte. Nebenbei sei bemerkt, daß sehr viele Gymnasien mit Gewehren ausgestattet sind, und daß in allen außer dem Turnunterrichte das Scheibenschießen eingeführt worden ist.

am 1. September 1911: Militärische Jugenderziehung in der Türkei.  Wir sind bereits seinerzeit bei Einführung des Schießunterrichts auf den österreichischen Lehranstalten für ein ähnliches Vorgehen in Deutschland eingetreten, da wir in einer militärischen Erziehung der Schuljugend eine sehr wirksame Vorbereitung für die Dienstzeit sowohl, als auch eine wohltätige Förderung der körperlichen Entwicklung der Jugend erblicken.
Jetzt können wir einen Fortschritt dieses Gedankens verzeichnen, und zwar in dem innerlich sich festigenden und zusammenschließenden Osmanenreiche. Bereits im vergangenen Unterrichtsjahre waren, wie das „Militärwochenblatt“ berichtet, in einigen Schulen von Adrianopel militärische Übungen aus dem Gebiete der Gymnastik und der infanteristischen Ausbildung eingeführt worden, zu deren Leitung sich Offiziere bereit erklärt hatten. Wegen ihres wohltätigen Einflusses auf die physische Entwicklung und moralische Kräftigung sind die militärischen Übungen in diesem Jahre fast an allen Schulen eingeführt worden. In allen Elementar-Schulen, in den Gymnasien und sogar an den geistlichen Schulen finden solche Übungen jetzt viermal in der Woche statt, und die Schüler beteiligen sich an ihnen mit großer Freude und Eifer. In vielen Elementar-Knabenschulen ist eine der militärischen ähnliche Uniformierung eingeführt worden. Binnen kurzem sollen von Tophane aus alle Schulen mit Gewehren ausgestattet werden (die Elementarschulen mit kleinen, hölzernen Gewehren). Die militärische Ausbildung ist in Adrianopel auch in den jüdischen und teilweise in dem Griechischen Gymnasium eingeführt worden. Hingegen wurde den Bulgarischen Schulen eröffnet, daß sie nicht die Erlaubnis zur Einführung der militärischen Ausbildung erhalten werden.

Dass es auch kritische Stimmen gab, wird in einem Artikel im „Deutschen, Schulwart“, München, 1887 deutlich: „Gegen den Chauvinismus in der Schule wendet sich die 'National-Zeitg.' in einem Leitartikel. Sie sagt: 'Je lebhafter in unserer Zeit die Nationalitätenideen sich regen, desto größer wird die Gefahr, daß schon in der Volksschule unter dem Vorwand der Vaterlandsliebe der Funke des Volkshasses in das Gemüt der Jugend geworfen wird. In den Volksbüchern und Jugendschriften begegnet man nur zu häufig Geschichtsfälschungen, die in der Vaterlandsliebe und dem gesteigerten Staatsbewußtsein wohl eine gewisse Entschuldigung finden, darum aber nicht weniger für die Bildung und Vorstellungen der Jugend verderblich sind. Der Patriotismus artet in Selbstüberschätzung und eitle Selbstberäucherung aus.' Zum Schlusse wünscht sie, daß der Gedanke des 'Erbfeindes' (gemeint ist Frankreich) und der 'Erbfeindschaft' so lange als möglich aus dem Bereich kindlicher Vorstellungen entfernt bleibe.“

Übrigens: Einen interessanten Kosten-Vergleich „Krieg und Unterricht“ hatte die Lehrerzeitung „Deutscher Schulwart“ bereits 1884 gebracht: „Der gelehrte Belgier Leon Donnat hat ausgerechnet, wie viel in den Hauptstaaten Europas jeder Bürger für den Krieg und für den Unterricht zahlt.
„Krieg und Unterricht“ - Kostenvergleich in der Lehrerzeitung „Deutscher Schulwart“, Ausgabe vom 1. Feb. 1884
„Krieg und Unterricht“ - Kostenvergleich in der Lehrerzeitung „Deutscher Schulwart“, Ausgabe vom 1. Feb. 1884

Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist von Mittwoch bis Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger Absprache außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen.
(Kontakt:
Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main; Tel. 09352/4960 oder 09359/317, e-Mail: eduard.stenger@gmx.net
Ernst Huber
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